Die Anfänge der Physiotherapie in der Tiermedizin waren etwas holprig, mittlerweile ist es aber durchaus ein etabliertes Behandlungsverfahren.

In erster Linie werden Erkrankungen des Bewegungsapparates behandelt. Dabei kann zum einen das betroffene Gelenk direkt behandelt werden, um eine schnelle Wiederherstellung zu erreichen. Aber auch die Folgeschäden in anderen Bereichen des Körpers, die durch die Fehlbelastung entstanden sind, können minimiert werden.

Mit einem Beispiel versteht man es besser: Nehmen wir einen Hund, der ein Problem mit der linken Hüfte hat. Er belastet deshalb das linke Hinterbein minimal schlechter. Direkt lahm geht er nicht. Für den Laien ist gar nicht zu erkennen, dass der Hund ein Problem hat. Ein geschultes Auge sieht aber schon ein paar Veränderungen im Gangbild, die einen Hinweis geben. Im Stand verteilt er die Last auch nicht ganz gleich. Das linke Bein stellt er, wenn man genau hinschaut, nicht unter den Schwerpunkt. Dadurch trägt das gesunde Bein immer ein wenig mehr Last. Diese stetige Überbelastung, des rechten Hinterbeines führt auf lange Sicht zu degenerativen Schäden. In Folge kann es so zu einem Kreuzbandriss kommen. Dazu braucht es noch nicht einmal eine große Belastung. Die stetige Überlastung hat zur Schwächung des Kreuzbandes geführt und ein Bagatellunfall führt dann zum Riss.

Der Hund wird dann in der Tierarztpraxis vorgestellt wegen einer akuten hochgradigen Lahmheit hinten rechts. Die Tests sind eindeutig, das Kreuzband ist durch und muss operiert werden. Nun hat der Hund plötzlich zwei Probleme: das rechte Hinterbein tut ihm ordentlich weh, aber eigentlich war die Ursache allen Übels das linke Hinterbein. Nun schmerzen ihm aber erstmal beide Hinterbeine. Also versucht er beide schmerzhaften Beine zu entlasten und überlastet nun in Folge seine Vorderhand überproportional. Er schiebt mehr Last auf die beiden Vorderbeine, um seine Hinterbeine zu entlasten. Der Schultergürtel nebst Rückenmuskulatur wird überlastet. Beim Aufstehen zieht er sich fast nur noch mit den Vorderbeinen hoch, die Ellenbogen dreht er durch die falsche Belastung mehr nach außen, die Vorderfußwurzelgelenke sind stärker durchgebogen. Kurz: Es besteht Handlungsbedarf, um diesen Teufelskreis zu durchbrechen. Dabei sollte der Besitzer, der Tierarzt und der Physiotherapeut Hand in Hand arbeiten.

Zum einen muss natürlich der Tierarzt mal das akute Problem beheben. In diesem Fall muss das rechte Knie operiert werden. Zusätzlich kann auch nur der Tierarzt für einen adäquate schmerz- und entzündungshemmende Therapie sorgen. Der Physiotherapeut sollte aber relativ schnell mit ins Boot geholt werden. Er kann die Folgen der Überbelastung im Bereich der Vorderhand minimieren und durch seine manuelle Behandlung zu einer deutliche Schmerzreduktion beitragen. Außerdem sorgt er dafür, dass das Tier wieder genügend Muskulatur aufbaut bzw. es die Muskulatur erhält. Und durch geeignete Übungen bekommt man das Tier auch wieder dazu, beide Hinterbeine gleichmäßig zu belasten und eine erlernte Schonhaltung zu durchbrechen.

Was muss der Besitzer tun? Die Hausaufgaben umsetzen, die ihm Tierarzt und Physiotherapeut geben und -ganz wichtig- dafür sorgen, dass sein Hund ein ideales Gewicht behält oder wieder erreicht! Das ist ein nicht ganz unerheblicher Faktor bei der Gesunderhaltung seines Tieres. Fettleibigkeit führt zu einer deutlich kürzeren Lebenserwartung und sorgt durch das Gewicht auch für orthopädische Probleme.

Dieser Hund wird langfristig sehr von der Physiotherapie profitieren, denn das Problem am linken Hinterbein bleibt vorerst. Die Hüfte ist nicht so schlimm, dass er ein künstliches Hüftgelenk braucht, aber man muss weiteren Schonhaltungen vorbeugen. Dazu nachher noch mehr.

Denn ein Physiotherapeut kann noch viel mehr als nur ein bisschen massieren. Unter anderem können in den meisten Praxen auch folgende Behandlungen durchgeführt werden:

Anwendungsbereiche

  • Neurologische Erkrankungen
    z. B. Bandscheibenvorfall, Cauda-Equina-Syndrom, Wobbler-Syndrom, Polyneuropathie, Lähmungen
  • Orthopädische Erkrankungen, degenerative Gelenkerkrankungen
    z. B. funktionelle Bewegungsstörungen, Hüftgelenkdysplasie, Kreuzbandriss, Patellaluxation, Ellenbogendysplasie, Arthrose, Muskel- und Sehnenerkrankungen
  • Prähabilitation
    Bewegungstherapie zur Vorbereitung auf geplante Gelenkoperationen
  • Postoperative Rehabilitation
    z. B. nach Frakturversorgung, künstlicher Gelenkersatz, Femurkopfhalsresektion, Gelenkoperationen
  • Geriatrischer Patient
    z. B. Arthrose, abnehmende Koordinationsfähigkeit, abnehmende Leistungsfähigkeit, altersbedingter Muskelschwund
  • Nachbehandlung von Verletzungen
  • Lymphödeme, posttraumatische, postoperative Ödeme

Therapiemaßnahmen

  • Manuelle Techniken
    Massage, Dehnungsübungen, Manuelle Therapie, reflexinduziertes Training, propriozeptive neuromuskuläre Fazilitation
  • Komplexe Physikalische Entstauungstherapie
    Manuelle Lymphdrainage, Kompressionstherapie, Hautpflege, Bewegungstherapie
  • Bewegungstherapie
    passive Krankengymnastik, aktive Krankengymnastik, Unterwasserlaufbandtherapie, propriozeptives Training
  • Thermotherapie
    Wärme-, Kälteanwendungen, Wickel und Auflagen
  • Elektrotherapie, Ultraschalltherapie, Low-Level-Lasertherapie
  • Kinesiotaping, Lymphtaping
  • Akupunktur

 

Leider ist der Beruf des Tierphysiotherapeuten nicht gesetzlich geregelt. Den Beruf Tierphysiotherapeut gibt es nicht. Es ist immer eine Zusatzausbildung zu einem „anderen erlernten Beruf“. Dieser kann im Idealfall zumindest ein medizinischer Beruf aber leider auch ein komplett fachfremder Beruf sein.

Es gibt mittlerweile Tierärzte, die sich auf den Bereich Physiotherapie spezialisiert haben und dementsprechend eine fundierte Ausbildung mitbringen. Des Weiteren trifft man auf gut ausgebildete tiermedizinische Fachangestellte, humane Physiotherapeuten, die sich im Bereich der Tiere  weitergebildet haben, auf Tierheilpraktiker, aber auch auf völlig fachfremde Berufe. Das spiegelt auch den großen Qualitätsunterschied in diesem Bereich wieder.

Wir haben eine Liste mit Tierphysiotherapeuten in der Praxis, die wir empfehlen können. Bei Fragen helfen wir gerne, schließlich sind wir überzeugte Anhänger der Physiotherapie!