Könnte es nicht auch Juckreiz sein?

Häufig kommen Meerschweinchen in die Praxis, weil sie sich angeblich plötzlich nicht mehr untereinander verstehen. Die Besitzer glauben teilweise, dass sich die Tiere gegenseitig durch Bisse verletzt haben. Bei genauerer Betrachtung fällt oft neben den vermeintlichen „Verletzungen durch Bisse“ eine typische „Brillenbildung“ auf. Das sind haarlose Areale um die Augen, teilweise auch mit borkenähnlichen Krusten und kleieartigen Schuppen. Die Tiere leiden unter quälendem, starkem Juckreiz, der die Unruhe auslöst. Das andauernde Kratzen kann so heftig ausfallen, dass sogar epileptiforme Anfälle beobachtet werden können. Warme Umgebungstemperaturen können die Symptomatik verschlechtern. Die Verletzungen sind keine Bisse, sondern durch das ständige Kratzen selbst zugefügte Verletzungen. Zusätzlich können oft noch noch weitere eher unspezifische Symptome wie eine reduzierte Futteraufnahme und als Folge davon Abmagerung, Schwächezustände und apathisches Verhalten auftreten. Sogar Todesfälle kommen vor.

Aber was ist der Auslöser?

Auslöser sind oft Milben, die auf der Haut und in den oberen Hautschichten leben. Dort legen sie sich Bohrgänge an, in denen die weiblichen Milben ihre Eier ablegen. Diese Grabmilben ernähren sich hauptsächlich von Gewebeflüssigkeit ihrer Wirtstiere. Durch die ständigen Irritationen der Haut und durch eine Sensibilisierung gegenüber dem Milbenspeichel entsteht starker Juckreiz, unter dem das befallene Meerschweinchen leidet. Ohne ihren Wirt sind die Milben in der Umgebung nur einige Tage überlebensfähig.

Jungtiere haben durch einen engen Kontakt zu ihren Elterntieren und ein noch nicht voll entwickeltes Immunsystem eine erhöhte Gefahr, an einer Infektion mit Grabmilben zu erkranken. Diese Erkrankung nennt sich Räude. Nicht alle Tiere einer Gruppe erkranken an einer Sarcoptesräude (Befall mit Grabmilbe). Bei Tieren mit einem stabilen Immunstatus kann eine Infektion sogar symptomlos verlaufen. So können symptomlose Trägertiere dazu führen, dass Infektionen in einer Gruppe Meerschweinchen immer wieder ausbrechen können. Deshalb sollten bei einem nachgewiesenen Befall mit Räudemilben immer alle Tiere behandelt werden! Also auch vermeintlich gesunde Partnertiere.

Oft werden die Milben durch Neuzugänge eingeschleppt. Durch den Stress, den die Tiere bei Ihrem Umzug in ein neues Zuhause und der Vergesellschaftung in eine bestehende Gruppe erfahren, kann eine latent vorhandene Infektion ausbrechen. Deshalb ist es ratsam „Neuzugänge“ zunächst in Quarantäne zu halten, bevor sie in die ganze bestehende Gruppe integriert werden.

Der Immunstatus des einzelnen Tieres hat wesentlichen Einfluss darauf, ob es zum Ausbruch der Erkrankung kommt. Deshalb darf man sich nicht nur auf die Behandlung der Räude stürzen, sondern muss auch, Haltung, Fütterung und andere zusätzlich mögliche Erkrankungen im Auge behalten! Stress, der durch Haltungs- und Fütterungsfehler entstehen kann, schwächt das einzelne Tier und kann es anfällig für Erkrankungen jeglicher Art machen.

Therapie:

Neben der Optimierung der Haltung und Fütterung, sowie der Behandlung eventuell vorliegender Primärerkrankungen gibt es zur Behandlung der Sarcoptesräude mehre Möglichkeiten:

Mittlerweile wird die Behandlung gegen die Milben durch das Auftragen eines Spot-on-Präparates durchgeführt. Auch eine Behandlung mit mehreren Injektionen nach einem zeitlich genau vorgegebenen Behandlungsschema kann in Erwägung gezogen werden. Aufgrund der einfacheren Applikation, der längeren Wirksamkeit und besseren Verträglichkeit ist einem Spot-on-Präparat allerdings in der Regel der Vorzug zu geben. Aber auch eine Spot-on Behandlung muss wiederholt werden, da oft nicht alle Entwicklungsstadien der Milben erreicht werden. Eine einmalige Behandlung führt demzufolge zumeist zu einer schnellen Verbesserung, aber nicht zur Heilung!

Früher wurden betroffene Meerschweinchen zumeist gebadet. Diese Art der Behandlung ist eigentlich nicht mehr zeitgemäß, da die Tiere durch das Baden enormem Stress ausgesetzt sind. Im Anschluss an das Baden besteht zusätzlich die Gefahr einer Vergiftung. Das lokal auf der Haut angewendete Medikament wird durch das intensive putzen der Tiere oral aufgenommen und kann zu entsprechenden Vergiftungen führen.

Bei sekundären Infektionen, also der zusätzlichen Infektion der aufgekratzten Haut mit Bakterien, kann eine Therapie mit Antibiotika nötig sein.

Da die Milben auch ohne ihr Wirtstier einige Tage überleben können muss zwingend auch eine Reinigung von Käfig und Inventar erfolgen! Das Einstreu sollte ebenfalls komplett gewechselt werden.

+++ACHTUNG +++ZOONOSE+++

Durch innigen Kontakt mit dem infizierten Meerschwein kann beim Menschen eine Pseudoscabies Erkrankung ausgelöst werden. Dabei entstehen beim Menschen ebenfalls heftig juckende Hautveränderungen meistens an Armen und Beinen. Durch die Behandlung der Tiere heilt die Erkrankung beim Menschen ab. Der Mensch ist in diesem Fall ein „Fehlwirt“.